
U.S. Steel steht vor einem Wendepunkt – Liquiditätsengpässe nehmen zu, während BR2 stark auf zukünftige Margenerholung setzt
U.S. Steel steht am Scheideweg: Liquiditätsdruck wächst, während BR2 auf künftige Margenerholung setzt
PITTSBURGH — Der Bericht von U.S. Steel über die Ergebnisse des ersten Quartals 2025 zeigt ein Unternehmen, das zwischen zwei Epochen der Stahlproduktion steht: Das traditionelle Hochofenmodell bricht unter strukturellem und zyklischem Druck zusammen, und das High-Tech-Miniwerk mit geringen Emissionen kämpft immer noch darum, richtig in Schwung zu kommen. Angesichts der stark gesunkenen Rentabilität, des ausblutenden freien Cashflows und der Kassenbestände auf dem niedrigsten Stand seit zehn Jahren steht das Unternehmen nun an einem finanziellen und strategischen Scheideweg.
Das Management setzt seine Hoffnungen auf eine deutliche Erholung des EBITDA im zweiten Quartal und eine längerfristige operative Wiederbelebung, angeführt von Big River 2, seinem hochmodernen Elektrolichtbogenofenwerk. Doch versteckt unter den oberflächlichen Zahlen liegen Schocks beim Umlaufvermögen, wiederkehrende Kosten, die als „einmalig“ getarnt sind, und Auslastungsengpässe, die diesen Optimismus untergraben könnten.
Es zeigt sich nicht nur die Geschichte eines schwierigen Quartals, sondern auch die eines umstrittenen Übergangs – bei dem Liquidität, Politik und industrielles Erbe in Echtzeit aufeinandertreffen.
Der finanzielle Puls: Tiefe Verluste, weitreichendere Folgen
Auf den ersten Blick mag der gemeldete Nettoverlust von 116 Millionen US-Dollar und das bereinigte EBITDA von 172 Millionen US-Dollar von U.S. Steel überlebbar erscheinen – enttäuschend, aber nicht katastrophal. Doch hinter diesen Eckzahlen verbirgt sich ein enormer Geldverbrauch, der die Zerbrechlichkeit der finanziellen Lage des Unternehmens entblößt.
Der operative Cashflow stürzte auf negative 374 Millionen US-Dollar ab, was hauptsächlich auf einen erschreckenden Umschwung beim Umlaufvermögen von 409 Millionen US-Dollar zurückzuführen ist – deutlich schlechter als der Abfluss von 312 Millionen US-Dollar im ersten Quartal 2024. Dies deutet auf stark steigende Lagerbestände oder feststeckende Forderungen hin, potenziell verbunden mit saisonalen Verzögerungen im Bergbau und Ineffizienzen in der Anfangsphase von BR2.
Der freie Cashflow der letzten zwölf Monate liegt nun bei negativen 1,4 Milliarden US-Dollar, und allein im ersten Quartal wurden 732 Millionen US-Dollar verbraucht. Mit nur noch 638 Millionen US-Dollar an Barmitteln – weniger als die Hälfte des Bestands zu Jahresbeginn – ist die finanzielle Flexibilität von U.S. Steel erheblich eingeschränkt.
„Jede weitere Verzögerung bei der Bestandsumwandlung oder der Normalisierung der BR2-Kosten bringt sie in eine finanzielle Enge“, warnte ein Buy-Side-Analyst. „Je länger die Diskrepanz zwischen EBITDA und tatsächlicher Geldgenerierung, desto größer ist das Risiko, unter Druck auf externe Märkte zurückgreifen zu müssen.“
Bereinigungen unter der Lupe: Die Trugbilder des „Einmaligen“
Investoren, die es gewohnt sind, zwischen GAAP-Zahlen (US-Buchhaltungsstandards) und bereinigten Zahlen zu unterscheiden, erhielten neue Gründe, die Glaubwürdigkeit der Letzteren zu hinterfragen. Unter den 29 Millionen US-Dollar an Bereinigungen zur Reduzierung des Nettoverlusts waren 23 Millionen US-Dollar Kosten für die strategische Überprüfung – derselbe Betrag wie im ersten Quartal 2024.
Ihr Wiederauftreten stellt in Frage, ob es sich hierbei wirklich um einmalige Posten handelt oder um eine grundlegende Ausgabe, die mit dem Betrieb in einem ständigen strategischen Niemandsland verbunden ist. Ebenso werden aktienbasierte Vergütungen weiterhin ausgeschlossen, obwohl ihre Regelmäßigkeit und Wesentlichkeit darauf hindeuten, dass sie eine Kernkosten für die Bindung von Talenten in einer volatilen Branche darstellen.
Unterdessen stiegen die Abschreibungen im Jahresvergleich um 19 % auf 249 Millionen US-Dollar, bedingt durch Investitionen in den Hochlauf von BR2 und höhere Ausgaben im Bereich Flachstahl. Die Diskrepanz zwischen EBITDA und steigenden nicht zahlungswirksamen Belastungen deutet darauf hin, dass die oberflächliche Rentabilität die vollständige Schmälerung der Margen verschleiert.
Big River 2: Hohe Erwartungen, durch Engpässe gebremste Realität
Das Miniwerk BR2 ist das Kronjuwel der Transformation von U.S. Steel – eine digital aufgebaute, umweltfreundlichere Anlage, die alte Kostenstrukturen hinter sich lassen soll. Im ersten Quartal lieferte es Rekordlieferungen im Mini-Mill-Segment und trug so zu einem Anstieg von 38 % gegenüber dem Vorjahr bei.
Doch dieser scheinbare Erfolg verbirgt ein komplizierteres Bild. Trotz der Mengensteigerungen sank die Auslastung der Mini Mills von 87 % auf 62 %. Der Übeltäter: Engpässe bei der Weiterverarbeitung und Kaltwalzung (Downstream), nicht Probleme beim Schmelzen (Upstream).
Das Ergebnis? Nur 5 Millionen US-Dollar EBITDA im Mini-Mill-Segment – eine Marge von lediglich 10 %, selbst nach Bereinigung um 55 Millionen US-Dollar an Hochlaufkosten.
„Durchsatz ohne nachgelagerten Fluss ist nur Lagerbestand“, bemerkte ein Industrieberater. „BR2 hat großes Potenzial, insbesondere bei ultra-leichtem Warmband, aber solange sie die Engpässe nicht lösen, ist der Margengewinn theoretisch.“
Preisuntergrenzen und Zollhöchstgrenzen: Der politische Hintergrund
Die Prognose von U.S. Steel für das zweite Quartal – ein bereinigtes EBITDA zwischen 375 und 425 Millionen US-Dollar – basiert auf der Annahme, dass sich die Warmbandpreise festigen und die Bergbaulogistik sich normalisiert. Doch dieses Vertrauen könnte zu optimistisch oder zumindest verfrüht sein.
Die Warmbandpreise durchbrachen im März kurzzeitig die Marke von 1.000 US-Dollar pro Tonne, angetrieben durch neu eingeführte Zölle nach Section 232, die nun auch Kanada und Mexiko umfassen. Diese Gewinne sind jedoch schnell wieder auf die Spanne von 920 bis 975 US-Dollar zurückgegangen, und die meisten Marktstudien erwarten Jahresdurchschnitte zwischen 600 und 800 US-Dollar – kaum die Gewinnschwelle für integrierte Stahlhersteller.
Während Zölle kurzfristig ein preisliches Schutzschild bieten, deuten globale Überkapazitäten – die bis 2027 voraussichtlich 721 Millionen Tonnen erreichen werden – und die Drohung von Vergeltungsmaßnahmen im Handel darauf hin, dass die politische Unterstützung kurzlebig sein könnte.
„Zölle sind ein Pflaster, keine Heilung“, merkte ein Stahlmarktstratege an. „Sie lösen nicht das Problem der überfüllten Lagerbestände oder einer Nachfragekurve, die zunehmend von der Elektrifizierung der Automobilindustrie und der Baustagnation bestimmt wird.“
Spannungen zwischen den Stakeholdern: Zwischen Kapitalmärkten und nationaler Sicherheit
Über der operativen und finanziellen Turbulenz liegt ein komplexes Netz von Stakeholdern. Der umstrittene Verkauf von U.S. Steel an Nippon Steel für 15 Milliarden US-Dollar hat die Möglichkeit für Fusionen und Übernahmen – und Schlagzeilenrisiko – in jede Investitionsentscheidung eingebracht.
Der aktivistische Hedgefonds Ancora setzt seinen Aktionärskampf fort, die Gewerkschaft United Steelworkers hat ausländisches Eigentum abgelehnt, und die Biden-Regierung steht unter Druck, den Deal aus Gründen der nationalen Sicherheit zu blockieren. Eine Entscheidung des CFIUS (Committee on Foreign Investment in the United States) wird bis zum 18. Juni erwartet.
Parallel dazu kämpfen Autohersteller (OEMs) und Industrieunternehmen mit Unterbrechungen in den Lieferketten und steigenden Inputkosten aufgrund von Zöllen – einige verlagern daraufhin Betriebe zurück, andere geben Preiserhöhungen weiter.
Szenarien: Von der Geldknappheit zur industriellen Wiederbelebung
Die Entwicklung von U.S. Steel in den nächsten 6 bis 12 Monaten könnte mehreren Pfaden folgen:
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Erholungsszenario: Die Warmbandpreise stabilisieren sich über 950 US-Dollar pro Tonne, BR2 erreicht bis Jahresende eine Auslastung von 80 %, und das Umlaufvermögen normalisiert sich. Der freie Cashflow wird im dritten Quartal positiv, was die Aktie wieder Richtung 45 US-Dollar treibt, da Spekulationen über Fusionen und Übernahmen wieder aufleben.
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Liquiditätsereignis: Die Preise fallen unter 750 US-Dollar pro Tonne inmitten globaler Überkapazitäten und verzögerter Lagerabbau. Der Geldverbrauch setzt sich fort, was zur Begebung besicherter Schulden oder zu Anlageverkäufen führt – potenziell verwässernd für die Aktionäre.
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Inländische Konsolidierung: Der Nippon-Deal scheitert; U.S. Steel fusioniert mit einem inländischen Player wie Nucor oder SDI in einem politisch akzeptablen „Made in America“-Deal, wobei Eigenkapital gegen Bilanzentlastung und strategische Klarheit getauscht wird.
Handelsstrategie: Optionalität statt Sicherheit
Für professionelle Investoren stellt U.S. Steel ein spektakuläres Volatilitätsspiel dar. Die empfohlene Haltung? Auf Chancen setzen, gegen den Zyklus absichern.
Der Kauf langfristiger Kaufoptionen nutzt das asymmetrische Aufwärtspotenzial aus einem wiederbelebten M&A-Angebot oder einer schnellen Margensteigerung bei BR2. Gleichzeitig kann der Leerverkauf von Terminkontrakten auf Warmband eine Absicherung gegen die zyklische Schwäche der Stahlpreise bieten, die ansonsten die Geldgenerierung zunichte machen würde.
Wichtige Katalysatoren, die zu beobachten sind:
- Umkehr beim Umlaufvermögen im zweiten Quartal: Jede Freisetzung von 100 Millionen US-Dollar entspricht ungefähr 40 Cent pro Aktie beim freien Cashflow.
- Auslastungsrate von BR2: Jeder Anstieg um 10 Prozentpunkte bei der Auslastung könnte etwa 50 bis 70 Millionen US-Dollar zum EBITDA beitragen.
- CFIUS-Entscheidung zum Nippon-Deal: Ein binäres Ergebnis mit großen Auswirkungen auf die Aktie.
- Entwicklungen im Kongress bezüglich der Handelsdurchsetzung: Ausweitung von Zöllen oder Schließung von Schlupflöchern für Transshipments würden die inländische Preissetzungsmacht stärken.
Ein Unternehmen am Rande seiner nächsten Identität
U.S. Steel ist nicht mehr nur eine traditionelle Ikone, die gegen die Bedeutungslosigkeit kämpft. Es ist auch ein Testfall dafür, ob kapitalintensive Transformation in der Schwerindustrie im Zeitalter von politischen Kurswechseln, aktivistischem Kapital und klimabedingten Margen überleben kann.
Die Ergebnisse des ersten Quartals 2025 sind nicht nur ein Rückschlag – sie sind ein Referendum über die Machbarkeit der Umstellung von Hochöfen auf Big River, von Gewinnvolatilität zu operativem Leverage. Der Erfolg hängt nicht nur von besseren Stahlpreisen ab, sondern auch von der Fähigkeit des Unternehmens, sich an die Physik von Märkten und Maschinen anzupassen.
Wenn das zweite Quartal keine deutliche Umkehr des Cashflows liefert, schrumpfen die strategischen Optionen des Unternehmens schnell. Aber wenn das Versprechen von BR2 Realität wird und die politischen Rückenwinde lange genug anhalten, könnte U.S. Steel doch noch einen Weg in eine profitablere und belastbarere Zukunft einschlagen.
Investoren müssen entscheiden: Ist das das Talende oder nur der Rand des Abgrunds?